Montag, 27. Juni 2016

Goodbye USA - thanks for awesome 5393,79 km on my bike!

Eigentlich hatte ich versprochen meinen beiden Omas ganz viele Postkarten zu schreiben. Doch in Ohio, Indiana und Illinois stellt die Suche nach Postkarten eine unlösbare Aufgabe für mich dar. "Du kannst ja eine Glückwunschkarte schreiben. Ist ja fast eine Postkarte", diese Antwort ist vielleicht ein Versuch, aber keine Lösung für mich. Ich hoffe einfach, dass ich am Lake Erie auf Postkartenverkaufsstände treffe und mit ihnen auf eine schönere Landschaft. Da es freilich nicht immer durch atemberaubende Landschaften gehen kann, fahre ich pro Tag einfach ein paar Kilometer mehr und komme recht schnell voran.
Etwa 50 Kilometer vor Cleveland mache ich eine verspätete Mittagspause in einer Bar direkt am See gelegen, ein kleiner Campingplatz schliesst sich an die Bar an. Der Barkeeper fragt mich wo ich denn noch hinmöchte und als ich mit "Cleveland" antworte, schüttelt er den Kopf. Das sei keine gute Idee, Cleveland hat die NBA gewonnen - ein historischer Sieg - die ganze Stadt steht Kopf. Für den kommenden Tag ist eine grosse Parade angekündigt. Ich entschliesse mich kurzfristig mein Zelt bereits hier aufzubauen, um dann am nächsten Tag nach Cleveland zu fahren und ein bisschen mitzufeiern. Und ich lasse es mir nicht nehmen, im Lake Erie zu baden. Der See ist bereits jetzt schon sehr warm und einen feinen Sandstrand gibt es ganz für mich alleine als Zugabe obendrauf.
Am nächsten Tag checke ich in Cleveland in einem Hostel ein, in meinen Zimmer schlafen noch weitere drei Männer und zwei Frauen. Schon beim Einchecken werde ich von einer älteren Dame angequatscht. Sie ist eigentlich nett, hat aber eine spezielle Art an sich. Seit ein paar Jahren verbringt sie ihre Zeit mit Reisen, weil ihr Gott das so aufgetragen hat. Sie beschwert sich bei mir allerdings, dass ihr niemand diese Reisen bezahlt. Dann löchert sich mich mit Fragen und wäre ich etwas labiler, ich hätte meine Reise sofort abgebrochen: sie berichtet mir von Mord und Totschlag. Wie kann ich auch nur in einem gemischten Zimmer nächtigen? Das sei viel zu gefährlich wegen der Männer - Männer kommen bei ihr generell nicht sehr gut weg. Ich denke an "Airolo - Göschenen", stelle auf Durchzug und nicke freundlich. Nach einem anstrengenden Radtag ist mir das ein wenig viel... Nach dem duschen mache ich mich auf dem Weg in Richtung Stadtzentrum, es ist soviel los! Mir vergeht nach nur fünf Minuten die Lust auf feiern, viele Krankenwagen, laute Menschen, viele Autos. Ich fühle mich unwohl und beschliesse den Tag auf der Dachterrasse des Hostels ausklingen zu lassen.
Die nächsten beiden Tage geht es direkt am See entlang, in riesigen Schritten in Richtung Kanada. Ich habe vor die Niagarafälle zu besuchen und möchte in Buffalo über die Grenze radeln. Die Sonne verwöhnt mich, die Strecke am Lake Erie entlang ist wunderschön und ruhig. Ich verlasse Ohio und bin für einen Tag in Pennsylvania. Dann geht es auch schon nach New York.
Irgendwo auf dem Highway 20 mache ich in einem kleinen Restaurant direkt an der Strecke meine Mittagspause. Auf der Karte finde ich nicht wirklich etwas was mich spontan anlacht. Aber die Dame am Nachbartisch geniesst ein verspätetes Frühstück mit Rührei und Toast. Ich frage bei der Bedienung nach und erhalte kurze Zeit später exakt das gleiche Gericht. Lecker! Ich komme mit der älteren Dame vom Nachbartisch und ihrer Tochter ins Gespräch. Sie erzählt mir, dass sie früher - vor 50 Jahren - auch mal eine längere Radtour auf dem Highway 20 unternommen hat. Damals fuhren hier noch viele Trucks und da sie nur kurze Shorts trug, wurde ab und zu kurz gehupt. Aber sie wusste sich mit einem Fingerzeig zu helfen und zeigte mir kurz ihren Mittelfinger. "Das wirkte", erzählt sie mir. Ich kann es kaum glauben, die Dame ist geschätzt weit über 85 Jahre alt und grinst mich schelmig an. Absolut fit im Kopf erzähl sie noch ein wenig weiter, dann verabschieden sich beide von mir und verlassen das Restaurant. Die Bedienung kommt, macht den Tische sauber und teilt mir mit, dass mein Lunch von ebendiesen beiden Damen bezahlt wurde. Ich schaue sie ein wenig ungläubig an, frage noch mal nach. "Are you kidding me?!" Ich lasse Gabel und Messer liegen und renne schnell nach draussen, passe die beiden gerade noch ab und kann mich bedanken, woraufhin mich die Tochter ganz herzlich umarmt. Wow!
Gestärkt geht es weiter Richtung kanadische Grenze. Meine letzte Nacht in den USA verbringe ich auf einem Zeltplatz direkt am See. Ich habe noch nie am Strand gezeltet. Der Sand macht das Aufstellen des Zeltes zur kleinen Herausforderung, aber es klappt nach ein bisschen nachjustieren. Direkt neben mir kampieren Rhonda und ihre Schwester in ihrem Wohnmobil. Zum Frühstück bin ich herzlich eingeladen. Zuerst können wir allerdings einen wunderbaren Sonnenuntergang am Lake Erie bewundern. Wie gemalt senkt die Sonne sich Richtung Wasser und taucht die vereinzelten Wolken in warme Farben. Der Strand ist zwar voll von Campern und Zelten, aber alle sind scheinbar gebannt von diesem Sonnenuntergang - welcher hier so zweifelsohne oft zu bewundern ist.
Am nächsten Morgen wache ich ausgeruht auf und besuche die Sanitäranlagen. Ich bin noch nicht komplett wach, bis ein lauter Knall das ändert. Schlagartig sitze ich im dunkeln, die Sicherung ist raus. Oder irgendwas defekt. Auf jeden Fall ist der Strom weg und das Licht aus. Es ertönt ein lauter Schrei und daraufhin Gezeter: "das darf doch nicht wahr sein! Ich habe mit gerade meine Haare voller Shampoo!" Ich komme noch glimpflich weg. Später erfahre ich, dass der Schrei aus der Dusche von meiner Nachbarin kam und der Strom auf dem ganzen Campingplatz ausgefallen ist. Ohne Strom gibt es auch keinen Kaffee, geschweige denn ein Frühstücksei oder Bacon. Aber Rhonda weiss sich zu helfen und schmeisst kurzerhand um 7 Uhr morgens den Generator an ihrem Wohnwagen an. Wirklich leise ist der allerdings nicht. Und um das ganze noch zu toppen hat dieser Generator irgendwelche Schwierigkeiten, geht etwa 10 mal von alleine aus und muss wieder gestartet werden. Was auch nicht wirklich leise ist. Scheint aber niemanden zu stören, liegen vielleicht alle in ihren Zelten und sind genervt... Da der Generator auf uns keinen zuverlässigen Eindruck erweckt, beschliessen wir es bei einem Kaffee zu belassen. Denn die Gefahr, dass der Bacon nicht in einem Rutsch gebraten werden könnte ist uns beiden zu gross. Wir quatschen und nach etwa einer Stunde ist der "richtige" Strom wieder da und es gibt doch noch ein leckeres Frühstück.
Gestärkt geht es weiter in Richtung Osten. Ich erreiche nach einem weiteren Radtag die Grenze zu Kanada. Ich möchte über die Peace Bridge einreisen, dort ist aber gerade eine Grossbaustelle und somit stehe ich erst mal ein bisschen planlos vor der Brücke - wo lang als Radfahrer? Es dauert aber keine Minute und eine nette Dame in einer Art Golfcaddy fährt auf mich zu und teilt mir mit ich sei falsch. Sie möchte mich aber nicht wieder retour schicken und eskortiert mich kurzerhand zur Brücke, ich soll einfach ihrem Golfcaddy folgen. Auf der anderen Seite der Brücke angekommen, geht es auf zu den Einreiseformalitäten. In die Autoschlange einreihen, Helm und Sonnenbrille abnehmen und Pass herauskamen. Mein Pass wird aufmerksam durchgeblättert und der Blick des Zöllners bleibt eine gefühlte Ewigkeit an meinem Russland Stempel hängen. Er stellt mir ein paar Fragen, was da so in meinem Taschen sei, woher ich komme und so ich hinmöchte. Dann macht er den kanadischen Einreisestempeln in meinen Pass, wünscht mir eine gute Reise und lässt mich passieren. Das ging doch reibungslos vonstatten.
Reibungslos ist auch die Strecke bis zu den Niagarafällen entlang einer verkehrsarmen Uferstrasse. Schneller als gedacht sehe ich dann auch schon in der Ferne grosse Hochhäuser. Und als ich noch näher komme eine relativ grosse weisse Gischtwolke. Das Wasser stürzt hier beeindruckend in die Tiefe, da könnte ich den ganzen Tag zuschauen. Es gibt viel zu entdecken, ein spannendes geschäftiges Treiben.
Durch schöne Weinanbaugebiete radelt es sich entspannt bis nach Toronto. Dort lernte ich am gestrigen Abend Bipasha und Beryl kennen. Drei Frauen, die sich alle noch nie zuvor gesehen haben, bestellen sich gemeinsam eine Flasche Wein und philosophieren über das Leben. Ich geniesse den Abend, denn die Geschichten und deren Background sind spannend. In dieser Gegend gefällt es mir und ich werde ein paar Tage pausieren.






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